Dienstag, 8. Mai 2007

Online-Urwälder vs. Internet-Schonungen

Hast du, lieber Leser, auch schon einmal den abgedroschenen Wald vor viel zitierten Bäumen im Internet nicht gesehen? Egal, was du jetzt sagen möchtest, ich behaupte: Ja, natürlich. So natürlich, wie im Winter Schnee fällt. Das Problem mit dem Schnee oder dem Fehlen desselben bei uns in naher Zukunft ist im UNO-Klimabericht wohl ausführlich ausgebreitet. Obwohl der Vergleich doch trotz Krücken schwer humpelt, könnte es da nicht auch im Internet etwas übersichtlicher ...?

Ich meine, es kann doch nicht so schwer sein, eine Suchmaschine zu programmieren, die zielgenau nicht nur normale Webseiten, sondern auch Blogs, Bilder, Videos und Audiodateien durchsucht, um mir exakt die Informationen hübsch aufbereitet auf einer Seite anzuzeigen, die ich suche. Und nicht 100 000 Treffer, von denen 99 Prozent für mich völlig irrelevant sind. Sozusagen eine Wikipedia für alles. Klingt gut, nicht?

Mal davon abgesehen, dass wir wohl noch weit davon entfernt sind, Bilder und Videos wirklich zuverlässig nach ihrem Inhalt zu katalogisieren, ohne dabei alles von Menschen durchsehen zu lassen, gibt es da noch grundsätzlichere Probleme.

Wirklich deutlich werden diese, wenn man einmal weniger die Suche nach harten Fakten wie Forschungsdaten (selbst das kann schon problematisch werden), sondern vielmehr nach interessanten Videos oder Blogeinträgen zu einem Thema betrachtet. Gerade diese Art Information nimmt im Augenblick ausgelöst durch den Wirbel um das Web 2.0 rapide zu. Jeder kann sich äußern und seine Meinung für Millionen zugänglich im Internet veröffentlichen, eine Möglichkeit, die es so nie zuvor gab.

Wenn wir nun überlegen, was passiert, wenn man sich eben nicht mehr von Seite zu Seite hangelt oder hunderte Einträge durchforstet, sondern dies alles datenbankartig verborgen hinter einem zentralen Portal liegt und man per Suchanfrage gezielt Informationen erhält, kommt man zu dem Schluss: Das spart mir Zeit und ich muss nicht mehr allen möglichen Müll lesen.

Stimmt. Das Online-Leben würde einfacher. Und ärmer. Das Ausmaß des Rattenschwanzes von Folgen hierdurch lässt nämlich durchaus auf ein genetisch verändertes Riesennagetier schließen. Zunächst einmal kann ein solch aufbereitetes Suchergebnis natürlich nicht alle klugen und weniger klugen Meinungen enthalten, die jemand geäußert hat. Also wird ausgewählt, natürlich die wahrscheinlichste, beliebteste, häufigste. Meinungen, die nicht mehrheitsfähig sind, gehen dabei zwangsläufig unter. Genau diese machen aber den etwas anarchischen Reiz des Internets aus.

Was unterscheidet denn das Internet noch von Fernsehen, Radio oder Printmedien, wenn eben nicht mehr alle möglichen und auch unmöglichen Meinungen anzutreffen sind?

Beim Durchforsten einer schier unerschöpflichen Menge an Informationen und Skurrilitäten, Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen bekommt man eine Menge beigebracht. Hier sieht man auf den ersten Blick, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, dass nicht alles zwangsläufig stimmt, was sich plausibel anhört. Ganz einfach deshalb, weil man noch zwanzig andere Sichtweisen findet. Diese Informationstiefe, die ein Thema aus vielen meist für sich völlig subjektiven Blickwinkeln betrachtet, ist so in der Summe objektiver als die meisten ach so neutralen Dokumentationen im Fernsehen. Genau der Verlust dieser Fülle, dieses weitreichenden Spektrums an Betrachtungsweisen von ein und derselbe Sachen wäre die Folge einer solchen Informationsbündelung.

Natürlich würde die Recherche schneller und einfacher, aber eben nur, weil es nicht mehr so viel zu recherchieren gäbe. Das Internet würde ein Medium unter vielen. Wem das angesichts der Vorteile egal ist, dem rate ich zum Gang in die Bibliothek (ja, dieses Haus mit den vielen Büchern, den Dingern, die so richtig aus Buchstaben und Wörtern bestehen und nein, das ist jetzt kein Sarkasmus angesichts so viel Ignoranz), Standardwissen und gängige Lehrmeinungen gibt es auch dort.

Das Internet ist ein Spielplatz für Selbstdarsteller und Idealisten, Basisdemokraten und Anarchisten, jeder mit seiner eigenen vielleicht noch so abstrusen Weltsicht, die aber eben doch ihren Teil beiträgt zum Internet, das dadurch mehr als die Summe ebendieser Teile ist. Nicht, dass es perfekt wäre. Ganz im Gegenteil, das ist es ganz und gar nicht, es ist eben – menschlich.