Montag, 24. Dezember 2007

Ich war StudiVZ-abhängig

Oder besser StudiVZ-addicted, so sagt man das heute als junger Hipster, das entspricht dem Zeitgeist. Und mit dem kennt man sich aus bei StudiVZ, eine der führenden Kreativitätschmieden Deutschlands, wenn es ums Marketing geht. Mit all ihrem geschärften sozialen Gespür werkelte die Chefetage dort an einer neuen Idee der Finanzierung. Die alte war ja ebenso simpel wie langweilig:

StudiVZ ist eine Plattform für Studenten. Studenten sind arm. Arme Leute zahlen ungern für ein bisschen Spaß und Kommunikation im Internet. Bleibt also Werbung. Diese wurde zur Finanzierung und Gewinnerwirtschaftung geschaltet.

Das klingt nicht sonderlich innovativ? Tja, ist es auch nicht. Aber es funktioniert. Natürlich reichte das nicht für unsere sympathischen Nachwuchsmanager und deren mütterlicher Freundin, der Verlagsgruppe Holtzbrinck. Also frisch ans Werk und etwas Neues ausgetüftelt. Das Ergebnis des Denksportmarathons:

StudiVZ wird immer noch fast ausschließlich von Studenten genutzt, die immer noch nicht zu den Topverdienern Deutschlands gehören. Bleibt also immer noch nur Werbung, da das Wikipedia-Modell scharfsinnig verworfen wurde, wer spendet schließlich einem Medienkonzern Geld? StudiVZ will aber mehr Geld verdienen. Also mehr Werbung, oder mehr Geld pro Anzeige. Das gibt’s aber nur, wenn man dem Werbenden auch mehr bieten kann pro Anzeige. Und nun fegte ein echtes Gewitter an Geistesblitzen los:

Noch mehr Werbung auf der Seite ist hässlich, weshalb man schnell auf andere Werbekanäle verfiel, über die man die Nutzer mit Kundeninformationen beglücken konnte: SMS, ICQ, AIM, Skype und die gute alte E-Mail. Die entsprechenden Kontaktdaten der meisten Studenten hatte man ja schon, weil die das in ihre Profile geschrieben hatten. Bessere Werbung, nichts leichter als das, die Studenten schreiben ja selbst den ganzen Tag in ihre Profile, welche Musik, welche Filme etc. sie bevorzugen. Also immer nur schnell das Profil scannen und jeder bekommt die Werbung, die zu ihm passt, und das besser als die meisten Hosen bei H&M. Und wenn jemand selber bei den Studenten für sich werben will, dann verkauft man ihm halt die Profildaten. Außerdem wäre es natürlich Verschwendung, Profildaten von Nutzern, die ihren Account löschen, einfach zu vernichten, die werden erstmal noch eine Weile gespeichert. Oder verbrennen Sie etwa Grundstücksurkunden im Kamin? Der Gesetzgeber bekam auch ein kleines Gimmick: Wenn er lieb fragte, durfte er auch mal einen Blick in die Datenbank werfen.

Stolz präsentierte man diese Ergebnisse der nach Neuerungen lechzenden Studentengemeinde im Dezember in Form geänderter AGBs und Datenschutzbestimmungen mit dem Hinweis auf zwingende Zustimmung bis spätestens 09.01.08, wenn man weiter dabeibleiben möchte. Die Reaktion war auf allen Ebenen überwältigend. Allen voran Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin feierte die Änderungen als datenschützerische Schweinerei, natürlich mit etwas vornehmerer Wortwahl. Und auch die Studenten dankten es den Gründern mit der Androhung massenhafter Austritte, der Löschung aller relevanten Daten oder der Erstellung von falschen Profilen. So hatte man sich das vielleicht nicht hundertprozentig vorgestellt. Mist aber auch. Linkes Heulsusenpack, diese Studenten, wieso wandern die nicht gleich alle in irgendeine Hippiekommune auf Jamaika aus? Das konnte man ihnen natürlich nicht sagen, für jeden von denen hatte Mama Holtzbrinck schließlich um die dreißig Euro bezahlt, die ja irgendwie wieder reinkommen mussten. Also Siegerlächeln aufgesetzt und Änderungen ändern. Manche Geschichten verdienen halt kein Happy-End. Übrig vom großen Triumphbau in ein neues Multimillionen-Zeitalter blieben so im Wesentlichen nur die Nutzerdatenscannung zur Schaltung personalisierter Werbung auf der Seite und die Datenweitergabe auf Anfrage an Behörden.

Das Ende ist doof? Keine Angst, man wird es wieder versuchen.

Das Ende ist nicht doof, weil ja nun alles gar nicht so schlimm ist? Vorsicht, man wird es wieder versuchen. Ganz Verwegene können sich sogar fragen, ob ein Unternehmen, das o.g. Geschäftsgebaren überhaupt versucht, das Vertrauen des denkenden Studenten wirklich verdient. Alternativen gibt es: www.kaioo.com, eine Social-Community-Seite, auf der Werbeeinnahmen zu 100% gemeinnützigen Zwecken, über die die Nutzer abstimmen, gespendet werden, sie befindet sich noch in der Beta-Phase, als gebt ihr eine Chance, wenn noch nicht alles bis ins Kleinste klappt (ich bin schon zufrieden). Gegründet wurde diese als gemeinnützig anerkannte Gesellschaft übrigens vom Ex-Bertelsmannmitarbeiter Thomas Kreye und finanziert aus dem Privatvermögen des Sony-BMG-Chefs Rolf Schmidt-Holtz. Vielleicht sollte man sich als Nachwuchsmanager seine Vorbilder einfach besser aussuchen.

Rest in peace, StudiVZ. Möglichst bald.